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1965: Im Gespräch mit den Bürgern

Auch der nächste Besuch von Willy Brandt in Schweinfurt am 8. Juli 1965 war dem Bundestagswahlkampf geschuldet. Erneut kam der Regierende Bürgermeister von Berlin als Kanzlerkandidat und mittlerweile auch als SPD-Vorsitzender nach Unterfranken. In den Jahren seit dem letzten Auftritt hatten Brandt und sein Stab die Strategie des „Wandels durch Annäherung“ gegenüber der DDR entwickelt, um Erleichterungen für die Menschen in in beiden Teilen Deutschlands zu erreichen. So ermöglichte das Passierscheinabkommen von 1963 die Besuche von Westberlinern im Ostteil der Stadt.
 

Gemeinsam betreten sie das SKF-Verwaltungsgebäude (v. l.): Gunnar Wester, Vorsitzender der SKF-Geschäftsführung, Bundestagsabgeordneter Walter Langebeck, Willy Brandt, OB Georg Wichtermann. (Foto: SKF)

 

In diesem Wahlkampf legte Willy Brandt an die 50 000 Kilometer zurück. Er suchte den direkten Kontakt zu den Menschen im Land. Mit seiner Person wollte Brandt der „Welle feindlicher Flüsterpropaganda“ wie es sein Biograph Peter Merseburger später nannte, entgegentreten, der Brandt sich zu dieser Zeit ausgesetzt sah.
 

„Die Schweinfurter Großbetriebe waren damals für Besuche von SPD-Politikern nicht sehr aufgeschlossen, mit Ausnahme von SKF. Aus Sicht der Belegschaft war es eine ruhige Zeit, Arbeit war genug da, von Verlagerungen wurde nicht gesprochen.“                                                                                                               Ernst Lang

 

Entsprechend eng war das zeitliche Korsett für den Besuch in Schweinfurt. Ganze zwei Stunden und zwanzig Minuten waren im Terminplan des Regierenden Bürgermeisters vorgesehen. Beim Empfang im Rathaus durch OB Georg Wichtermann beruhigte Brandt die etwa 100 Schweinfurter wegen aktueller Provokationen der DDR. So waren Hubschrauber in den Luftraum der Westzonen Berlins eingedrungen. Man dürfe diese Vorfälle keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen, so Brandt. Aber: „Nach einer Existenzkrise wie 1961 sieht es nicht aus“, so der Sozialdemokrat. Entsprechend konnte sich Brandt in seiner Rede der Kommunalpolitik widmen: Das kleine Schweinfurt habe die gleichen Sorgen wie das große Berlin. Die Schere zwischen den Bedürfnissen der Menschen und der Möglichkeit der Kommunen, sie zu befriedigen, klaffe immer bedrohlicher. Bund und Ländern mangelte es Brandt zufolge am Verständnis für die Wichtigkeit der Gemeindepolitik im politischen Gefüge.

Eine Stunde verbrachte Brandt im Gespräch mit den Betriebsräten und Vertrauensleuten der Schwedischen Kugellagerfabriken. In der Cafeteria des SKF-Verwaltungshochhauses sprach er in Begleitung des Bundestagsabgeordneten Walter Langebeck und des Landtagsabgeordneten Oskar Soldmann mit den Arbeitnehmervertretern aus Industrie und öffentlicher Verwaltung über Gesundheits- und Rentenpolitik. Die verbleibenden 20 Minuten nutzte er für eine Rede in der Stadthalle, in der er sich für die Fortführung des sozialen Wohnungsbaus und den Ausbau der Bildungsmöglichkeiten aussprach. Knapp zwei Monate nach dem Besuch in Schweinfurt konnte die SPD bei der Bundestagswahl mit 39 % der Stimmen erneut zulegen, allerdings verfehlt sie knapp das selbst gesteckte Ziel von 40 %.